Das Modalverb sollen

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Das Modalverb sollen drückt eine Notwendigkeit aus, die sich aber aus einer Aufforderung an das Subjekt ergibt.

 

Beispiele Aufforderung an das Subjekt - Situation:
Ich soll einkaufen gehen. Meine Mutter sagte zu mir: "Geh einkaufen!"
Ich soll Sport treiben. Mein Arzt sagte zu mir: "Treib Sport!"

 

Die Aufforderung an das Subjekt kann nicht nur von einer Person stammen, sondern auch von etwas Abstrakterem wie beispielsweise von sozialen Normen. In diesem Fall handelt es sich um den Ausdruck einer Notwendigkeit, die sich auf sittliche Pflichten oder auf Vorschriften zurückzuführen ist.

 

Beispiele Aufforderung an das Subjekt als
Du sollst ehrlich sein. sittliche Pflicht
Man soll seinen Hund an der Leine führen. Vorschrift


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Unterscheidung zwischen sollen und müssen

 

Das Modalverb müssen drückt ganz allgemein Notwendigkeit aus, während sollen eine sich aus einer Aufforderung an das Subjekt ergebende Notwendigkeit ausdrückt.

 

Beispiele    
Paul soll morgen Überstunden machen. a. weil das sein Chef von ihm verlangt hat.
Notwendigkeit (Aufforderung)
Paul muss morgen Überstunden machen. b. weil er sein Projekt abschließen will.
Notwendigkeit
c. weil er Geld braucht.
Notwendigkeit
d. weil er heute krank war.
Notwendigkeit

 

Das heißt, dass müssen die Bedeutung von sollen deckt, es wird aber dabei nicht deutlich, dass es sich um eine Aufforderung handelt. Wenn der Aspekt "Aufforderung" für die Aussage wichtig ist, muss er durch den Kontext deutlich gemacht werden.

 

Beispiele
Paul muss morgen Überstunden machen, weil das sein Chef von ihm verlangt hat.
=
Paul soll morgen Überstunden machen.

 

Wenn also aus dem Kontext erkennbar ist, dass es sich um eine Aufforderung handelt, dann kann sollen von müssen ersetzt werden.

 

Darüber hinaus unterscheidet sich die Intensität der ausgedrückten Notwendigkeit, bei müssen geht es nämlich um den Ausdruck einer intensiveren Notwendigkeit, die nicht ohne Folgen übersehen werden kann.

 

Beispiel Bedeutung Intensität der Notwendigkeit
Du sollst einkaufen gehen! Du wirst von mir/uns/jdm. aufgefordert, einkaufen zu gehen. +
Du musst einkaufen gehen! Du hast keine Wahl. Wenn du es nicht tust, gibt es Folgen. + +


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Unterscheidung zwischen nicht sollen und nicht müssen

 

Das Modalverb nicht sollen drückt ein Verbot aus, nicht müssen hat die Bedeutung, dass etwas nicht notwendig ist.

 

Verbot
Nicht-Notwendigkeit
nicht sollen
nicht müssen

 

Die Negation bei sollen bezieht sich auf den abhängigen Infinitiv, bei müssen aber bezieht sie sich auf das Modalverb selbst.

 

Verbot
Beispiel Umschreibung
nicht sollen
Du sollst ihn nicht benachrichtigen!
Es ist notwendig, dass du ihn nicht benachrichtigst.

 

Nicht-Notwendigkeit
Beispiel Umschreibung
nicht müssen
Du musst ihn nicht benachrichtigen! Es ist nicht notwendig, dass du ihn benachrichtigst.

 

 

Das typische Modalverb für den Ausdruck des Verbots ist das verneinte dürfen. Andererseits wird nicht müssen häufig von nicht brauchen ersetzt. Diese zwei Paare unterscheiden sich bezüglich ihrer Intensität.

 

Verbot
Nicht-Notwendigkeit
Intensität
nicht sollen
nicht brauchen
+
nicht dürfen
nicht müssen
+ +


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Mit sächlichem Subjekt drückt sollen oft eine Aufgabe, einen Zweck, ein Ziel, einen Plan/Absicht oder eine Funktion aus.

 

Beispiele
Die Krawatte soll zu einem grauen Anzug passen.
Diesem Band soll noch ein zweiter folgen.
Hier soll ein neues Uni-Gebäude entstehen.
So soll die Zahl der vielen Einzelfahrer reduziert werden.
Die Änderung des Strafrechts soll mögliche Täter abschrecken.


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Im Konjunktiv II wird ein Vorschlag, eine Empfehlung oder Ratschlag ausgedrückt.

 

Beispiele
In Zukunft solltest du vorsichtiger sein.
Zumindest alle drei Tage solltest du dich bewegen.

 

 

In Fragen hat sollen eine ähnliche Funktion, man drückt dabei seine Unentschiedenheit aus und fragt um einen Ratschlag. In dieser Variante steht sollen in der ersten Person und im Indikativ. Dabei kann sollen auch als Vorschlag aufgefasst werden.

 

Beispiele
Soll ich ihn benachrichtigen?
Was soll ich tun?


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Das Modalverb sollen verstärkt die Bedingung eines Konditional- oder Konzessivsatzes. Dann steht es immer im Konjunktiv II Präteritum.

 

Beispiele
Wenn du ihn sehen solltest, grüße ihn von mir.
Selbst wenn ich alles verlieren sollte, werde ich hingehen.

 

Sollen kann dabei auch an erster Stelle stehen, dann wird aber die konditionale Konjunktion getilgt.

 

Beispiele
Solltest du ihn sehen, grüße ihn von mir.


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Auch in indirekten Aufforderungen benutzt man sollen, das ist eine Möglichkeit, eine eindringliche Aufforderung wiederzugeben. Es handelt sich um eine Funktion im Rahmen der indirekten Rede.

 

Beispiele
Er hat mir gesagt, ich solle ihn sofort benachrichtigen.
Paul hat Sonja aufgefordert, sie solle ihn so schnell wie möglich zurückrufen.


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Das Modalverb sollen bezeichnet im Präteritum Indikativ auch die Zukunft in der Vergangenheit.

 

Beispiele
Er lernte die Schauspielerin, die später seine Frau werden sollte, in Frankreich kennen.
Das sollte sich allerdings als Trugschluss erweisen.


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Das Modalverb sollen steht auch in Fragen, die eine zweifelnde Vermutung ausdrücken. Dann steht sollen im Konjunktiv II. Wird die Frage mit einem Fragewort eingeleitet, kann auch der Indikativ Präsens stehen.

 

Beispiele
»Ich glaube, dass er es getan hat.« »Warum soll(te) er es getan haben.
Sollte er es sich inzwischen doch anders überlegt haben?